Im Interview: Frank Glassl
- Solitary Experiments -
von Marcel, 02.11.2024
Die Social-Media-Kanäle werden von vielen Künstlern gern genutzt. Verständlich, einen besseren Werbeeffekt für die eigenen Projekte hat man heutzutage wohl nicht als über das Internet. Künstler haben aber auch eine gewisse Vorbildfunktion. Ihre Stimme hat Gewicht und wird von einer größeren Reichweite an Menschen eingefangen. Daher ist es wichtig, wenn Künstler auch eine Meinung zu gesellschaftspolitischen Themen haben und Schwurbel-Kollegen die Stirn bieten. Leider gibt es zu wenige, die ihre Meinung offen äußern. Frank von Solitary Experiments ist einer der wenigen, der offen sagt, was er denkt, dabei stets fair und auf Augenhöhe bleibt. Wir sprachen mit Frank über Probleme in der Gesellschaft und der Szene, blicken aber gleichzeitig auch hoffnungsvoll und mit einer Brise Humor in die Zukunft.
Hi Frank, eine große Freude für mich, dass wir auch mal ein Interview gemeinsam führen dürfen. Ihr hattet mit Solitary Experiments euer 30-jähriges Jubiläum, dazu nochmals von mir meine Glückwünsche! Rückblickend für Dich, was blieb Dir aus den vergangenen 30 Jahren in besonderer Erinnerung?
Hallo Marcel, erstmal vielen lieben Dank für die Einladung zu dem Interview. In meinem Kopf fühlt es sich immer noch ein surreal an, dass jemand auf mich zukommt, weil ich nicht komplett unbekannt bin in der alternativen Szene. Und das ist auch schon etwas, dass mich in der ganzen Zeit immer wieder sprachlos macht – wenn ich nach Fotos gefragt werde, nach Autogrammen oder wenn ich auf eine der großen Festivalbühnen komme und tausende Menschen fangen an zu kreischen. Das ist so unwirklich, genau wie die Tatsache, dass große Idole von mir wie Erk von Hocico oder Lydida Benecke in meinem Telefonbuch stehen und sich freuen mich zu sehen. Das sind die besonderen Erinnerungen – genau wie das erste Mal auf dem WGT zu spielen, in meiner Heimatstadt auf dem Festival, dass ich 1999 zum ersten Mal besucht habe.
Wenn Du an die Anfangszeit zurückdenkst, wie bist Du zur Musik gekommen und was war der Punkt für Dich, Künstler zu werden?
Zur Musik hat mich mein großer Bruder gebracht. er hat mich in den 90ern mit nach Glauchau genommen auf so ein Gruftie-Festival und meinte, das könnte mir gefallen. Und da waren dann Pitchfork und Umbra et Imago und Klein-Frank war sprachlos. Ein Jahr später dann an gleicher Stelle Front 242... Nebel, Bass und Strobo. Ab da war alles zu spät :D Zum Musikmachen kam ich dann 2000, als mich ein lieber Freund gefragt hat, ob ich nicht jemand kenne, der E-Drum spielt in seiner Krachcombo. Einen Monat später stand ich auf der Bühne im alten K17 – als Vorband von Solitary Experiments. Der Rest ist Geschichte, die bis heute geschrieben wird.
Für alle waren die letzten Jahre sicher nicht einfach, aus bekannten Gründen. Wie seid ihr als Band, bzw. Du durch die Zeit der Corona Pandemie gekommen?
Corona war hart für alle. Vor allem menschlich, die ganze Unsicherheit, wie es weiter geht, was passieren wird oder auch nicht, hat viel in den Köpfen gemacht. Als Band hat uns auf jeden Fall die Tatsache sehr gut getan, dass wir alle Fulltimejobs haben und nicht von der Musik leben. Dadurch sind wir in der guten Lage jederzeit entscheiden zu können, was wir machen und wie und wo. Natürlich sind uns Konzerte verloren gegangen, aber es waren keine Existenzen in Gefahr.
Für einige, auch aus der Szene, war es scheinbar ein Grund, sich irgendwelchen absurden Thesen anzuschließen und ordentlich loszuschwurbeln. Auch unter dem Deckmantel des bandeigenen Accounts. Deine Gedanken über solche Kollegen und Ethik und Moral in der Szene?
Das Wichtigste, was ich überhaupt sagen möchte, dass ich bei allem hier immer meine ganz eigene persönliche Meinung äußere. Ich, als Frank, der 44-jährige Spinner aus Leipzig mit all seinen Macken. Ich versteh auch, wenn mal als Band keine politische Meinung äußern will, sondern allein die Musik für sich sprechen lassen möchte. Und das ist auch richtig – den erstmal ist Musik nicht politisch – aber der Mensch dahinter ist es. Und dem steht es frei seine Meinung zu äußern oder eben auch nicht – auch das ist übrigens eine Meinungsäußerung. Durch die Corona-Krise sind viele Menschen – auch Musiker, Künstler – in Extremsituationen geraten, die viel Kraft und Energie gefordert haben. Und dann sind einfache Lösungen bzw. einfache Feindbilder wie Pharmafirmen oder Regierungen eine gute Lösung seine ganze aufgebrachte Wut und Angst zu kanalisieren. Ich kann da niemanden einen Vorwurf machen, aber ich darf der Meinung sein, dass diese Lösungen gefährlich und polarisierend sind. Ich darf mich auch dagegenstellen und versuchen mit Gegenargumenten zu arbeiten und vor allem – dass es einfach keine Idee ist solchen Ideen eine große Bühne zu geben. Am Ende respektiere ich den anderen Menschen, darf aber auch scheisse finden, was er da äußert.
Einen großen Einfluss auf die heutige Gesellschaft haben Facebook und Co. Was läuft deiner Meinung nach schief bei den ganzen Social-Media-Kanälen, was müsste passieren, damit das ganze wieder einigermaßen funktioniert?
Das mag jetzt vielleicht verwundern – aber ich denke nicht, dass Social Media an sich schiefläuft. Es ist die direkte Möglichkeit der Interaktion innerhalb von Sekunden und Klicks. Dafür ist Social Media als Medium da. Der Meinungsaustausch mit etlichen anderen Menschen weltweit ist einer der wunderbarsten Sachen, die je erfunden wurden. Das Problem liegt daher nicht am Medium, sondern an dem Umstand, wie es verstanden wird. Aus einzelnen Meinungen, aus Ideen, aus Gedanken werden innerhalb von Sekunden Fakten und Tatsachen. Wenn man sich dann noch fast komplett in einer ähnlich tickenden Bubble bewegt, ist es ziemlich schwer, da noch so etwas wie einen funktionierenden Diskurs zu erhalten. Ich meine, wenn man seinen Gedanken inklusive absoluter Deutungshoheit und am besten noch mit Beleidigungen verstärkt jedem ungefragt aufs Display schleudern kann und dann einfach nicht mehr reagiert, ist schnell der Punkt erreicht, an dem jeder soziale Aspekt weg ist. Wie man das jemals ändern könnte? Gute Frage – ich für mich gehe den Weg immer wieder in die Konfrontation zu gehen und dem am anderen Bildschirm das Gefühl zu geben, dass es ein Gespräch auf Augenhöhe ist und nicht darum möglichst lautstark alles niederzubrüllen, bevor der andere es macht. OK, außer bei Faschos. Faschos waren scheisse, sind scheisse und werden es immer sein und sollte keine Plattform bekommen.
Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und zuletzt in Brandenburg hat die AfD viele Stimmen geholt, 2025 folgt die Bundestagswahl. Was droht, ist eine Abschaffung der Demokratie bzw. rechtsstaatliche Elemente zu entfernen. Deine persönlichen Gedanken zur politischen Situation und siehst Du einen Weg, die Leute in die Demokratie zurückzuholen?
Denk ich an Deutschland in der Nacht... dann bin ich einfach komplett ratlos. Ich versteh nicht, wie jegliche Argumente, Fakten und wirklich existierende Tatsachen komplett ignoriert werden können von einer absolut nicht zu unterschätzenden Anzahl von Menschen – nicht nur in Sachsen oder Deutschland, sondern weltweit. Das macht mir viel mehr Kopfschmerzen als die eigentliche politische Lage. Ich bin Demokrat, ich bin der Meinung verschiedene politische Strömungen sind unfassbar wichtig für ein funktionierendes Land, sonst wird alles schnell zur Diktatur. Jedes Lager brauch auch ein Gegenlager, damit Dinge aus verschiedenen Perspektiven gesehen werden können und auch kritisch hinterfragt werden. Daher sehe ich konservative Meinungen auch per se als nichts Schlimmes – solange sie fundiert sind, logisch und vor allem menschlich. Und davon entwickeln wie uns derzeit leider stark weg, da wie schon erwähnt immer weniger Fakten und Tatsachen relevant sind, sondern Meinungen und wer seine am lautesten vertritt gewinnt. Leider ist eine Abwarten da auch keine Alternative mehr, da diese Strömungen immer lauter werden und am Ende vielleicht wirklich eine teilweise Abschaffung von demokratischen Errungenschaften droht. Also was soll man tun? Hätte ich die Antwort, wäre ich Politiker und würde sie versuchen umzusetzen. So bleibt mir nur der tägliche kleine Kampf um meine Werte – auf Arbeit, im Kiez, auf Social Media. Meine Meinung vertreten und zugleich immer offen sein neues zu hören und zu lernen und mich weiterzuentwickeln, damit ich am Ende nicht von dem abhängig bin, was mir andere verkaufen wollen.
Kommen wir noch einmal zurück zur Musik, Wie sieht Deine Meinung aus bzgl. KI in der Musikbranche? Bereicherung oder Ende der individuellen Kunst/Kreativität?
Um ehrlich zu sein ein Thema, mit dem ich mich bis dato kaum auseinandergesetzt habe, was aber definitiv die nächsten Jahre hochkommen wird. Ich habe aber in den letzten Monaten immer wieder Musik gesehen und gehört, die per KI erzeugt wurde und es war für mich ehrlich schwer, da einen Unterschied zu hören, zu „handgemachter" Musik. Ob das jetzt ein positiver oder negativer Punkt ist, kann erstmal jeder für sich entscheiden. Ich denke am Ende wird es die konsequente Weiterentwicklung sein vom musikalischen Schaffen, wie es von akustischen Instrumenten zu Synthieklänge kam und es immer wieder einen großen Aufschrei gab und nach dem Sellout der Musikwelt gerufen wurde. Und alle haben irgendwie Recht. Wer kann es dem Hörer verdenken, wenn er einfach nur Musik genießen möchte ohne Nachzudenken, wie lange es gedauert hat, sie zu erschaffen. Genauso gut fühlt sich der Musiker verraten, der an einem Song wochenlang tüftelt und sein ganzes Herzblut hineinsteckt und nachher vielleicht nicht die passende Aufmerksamkeit bekommt. Diese Diskussion über das Schaffen und Konsumieren von Musik ist nötig und muss dringend geführt werden. Und wenn du meine ganze persönliche Meinung willst – ich denke, es wird über kurz oder lang kaum noch einen Unterschied geben und der Mensch, der die KI mit den nötigen Daten füttert, die gleiche Aufmerksamkeit bekommen, wie der Folksänger mit der Gitarre am Strand.
Was denkst Du über ....
Linkin Park mit Emily Armstrong als neue Sängerin?
Oh, wie hat dieses Thema die Musikwelt gespaltet – oder eigentlich auch nicht. Es hat nur einmal mehr gezeigt, wie sehr sich einzelne Menschen eine Deutungshoheit über einen Gut herausnehmen. Wie viele Menschen schreien laut, dass doch Linkin Park nicht ohne Chester sein darf und es ein Verrat an ihm ist und eigentlich fühlen sie sich nur verwundbar, weil ihnen etwas weggenommen werden soll, in ihren Augen, was ihnen nie gehört hat – nämlich die Band. Die Band war schon immer die Summe aus den einzelnen Bestandeilen und wird es immer sein, auch wenn sich einzelne ändern. Wie du vielleicht merkst, stehe ich der neuen Frontfrau Emily in deren Funktion sehr positiv gegenüber. Ich freue mich, dass diese Band, die so unglaublich wichtig ist für viele weitermacht, dass die Lieder wieder live gesungen werden und Jugend von heute, die Chance bekommt ihre ganz eigene Linkin Park-Geschichte zu erleben,
Depeche Mode und ihre Ära „Memento Mori" nach dem tragischen Verlust von Andy Fletcher?
Depeche Mode ist schon längst mehr als eine Band oder die Summe der einzelnen Mitglieder, ähnlich zu Linkin Park. Die Band hat eine ganze Generation und mehr beeinflusst und das spürt man in jedem Moment. Der Tod von Andy war sicherlich ein Menschlicher Verlust.
Solitary Experiments in der Zukunft?
Ich freu mich noch auf viele Jahre mit meinen Jungs zusammen. Wir fühlen uns alle nicht wie alte Männer 😊 und ich denke es gibt noch sooo viele Bühne zu bespielen, Menschen zu tanzen zu bringen und Lieder zu singen.
Wie sieht Dein Leben aus, wenn es nicht gerade um die Musik geht, was tust Du am liebsten, um ganz abzuschalten?
Ich bin in der glücklichen Situation eine wundervolle Partnerin an meiner Seite zu haben, mit der ich viele kleine und große Abenteuer erleben darf, vom Tommy Cash-Konzert bis zur Schottland-Reise. Ansonsten habe ich mir in den letzten Jahren ein sehr gutes Standing als DJ aufgebaut und bin da mittlerweile sogar Veranstalter von wundervollen Partys in Leipzig wie die Hypa Hypa Party oder mein neues Baby, die Love on Deck Party. Wer eine großartige, lustige und eskalierende Nacht haben will zum Tanzen, der kann mich gerne buchen. 😉
Behind the Scenes – in unserer Interviewreihe durften schon einige großartige Freunde dabei sein. Sei es die Fotografen Daniela und Helge, sowie Nadine und Katja mit ihren redaktionellen Beiträgen, oder auch Jens als Moderator, ein paar Worte von Dir über die wunderbaren Kollegen, die jedes Konzert, neben den Künstlern, mit ihrer Arbeit bereichern.
Ich habe den allergrößten Respekt und nicht als Liebe für diejenigen, die sich der Musik neben ihrem Fulltime-Job stellen, durch Deutschland fahren und mit ihren Worten und Bildern unsere Szene lebendig machen. Vor allem haben sich daraus viele wunderbare Freundschaften entwickelt, die längst über den musikalischen Aspekt hinaus gehen und dafür bin ich sehr dankbar.
Lieber Frank, ich danke Dir, wünsche Dir alles Liebe und die letzten Worte gehören Dir!
Mein lieber Marcel, ich danke dir für die Anfrage, das tolle Gespräch und die Möglichkeit meine Meinung nicht nur in Kommentarspalten oder zweier Gesprächen zu äußern. Was mich jeden Tag immer wieder zum Lächeln, Denken und Reden bringt ist jeder da draußen, der einen Teil seines Lebens teilt und uns mitnimmt in seine kleine Welt – durch einen Gedanken, eine Lied, ein Foto, einen Gedanken, eine Diskussion, ein Widerspruch, eine Emotion. Bleibt genau wie ihr seid – auch wenn man nicht immer derselben Meinung ist – nur so bleiben wir diese großartige Gemeinschaft, die wir sind.
+++++Pics by @trm_fgrafie